2013-05-23

Zwischendurch mal eine schöne Bleiwüste für euch; diese Rezension von Homunculi erreichte uns die Tage. Wer einen Crashkurs in Deutsch braucht, dem sei der folgende Text empfohlen:


Verehrter Literat,

in angespannter Erwartung und mit einer gewissen Vorfreude habe ich ihr Erstlingswerk in den Händen gehalten. Inwiefern sich mir das Wesen Ihres Homunkulus nach der Lektüre erschließen sollte, ob in philosophischer Hinsicht im Sinne eines „Menschlein“,oder "bewusstem Wesen“ im menschlichen Körper oder neuroanatomisch, im Sinne eines cerebralen Repräsentanzmusters oder gar wie ihn Goethe in Person des Mephistos thematisiert, wagte ich nicht voraus zu ahnen. 
In welchem fundamentalen Umfang dieses Werk zu begeistern vermag kann  der geneigte Leser auf dreierlei Weise erfahren.
Neben einer prosaischen, bisweilen sehr pointierten inhaltlichen Beschreibung jener besagten Tour, als aber auch durch die aufmerksame Würdigung des syntaktischen und stilistischen Aufbaus des Textes kann ein tieferes Verständnis des Kernthemas gelingen.  Der wohl höchste Genuss, der sich leider nur dem Intellektuellsten unter uns zu erschliessen vermag, besteht in der vortrefflichen Verschmelzung dieser beiden Ebenen, die in diesem Werk eine derart passgenaue und starke Bindung miteinander eingehen, wie es sonst nur -um im Sprachduktus des Literaten zu bleiben- Currywurst und Pommes, vermögen.
Eine Rezension ohne eben diesem Punkt einige Zeilen zu widmen, würde dem Namen nicht gerecht werden, sodass im Folgenden auf die hervorstechendsten formalinhaltlichen Merkmale in aller Kürze eingegangen wird.
Semantisch fällt auf, dass die meistgewählte Wortart das Adjektiv darstellt, das sich an der Alltagssprache orientiert und ungefähr in gleichem Masse passiv als auch aktiv verwendet wird. Die Lebhaftigkeit, das Turbulente wird so auf vortreffliche Weise unterstrichen und beflügelt. Syntaktisch besteht der Text überwiegend aus Deklarativ (Aussage)-sätzen  und Ausrufesätzen (Exclamativsätzen), die insbesondere bei den stellenweise eingeführten inneren Dialogen des Literaten Verwendung finden und die Authentizitiät unterstreichen.
Einen ähnlichen Wechsel zweier stilistischer Mittel lässt sich bei intensiverer Betrachtung des Satzbaus erkennen. Der Sprachgestus besteht nahezu ausschließich aus einem Wechsel von hypotaktischen  und parataktischen Sätzen. In den hypotaktischen, sich bisweilen über acht Zeilen erstreckenden, Satzgebilden aus eingebundenen Nebensätzen vermag der Literat auf das vortrefflichste insbesondere emotionale Inhalte in all ihrer Komplexität fassbar zu machen. Der eher prägnante, bisweilen stakkatoartige kurze Satzbau durch Parataxen findet seinen Gleichklang zu dem Erzählten bei eher nüchternen Beschreibungen hinsichtlich zeitlicher Abläufe (Der nächste Morgen. Mal wieder früh aufstehen. S.97) oder der reinen Informationsvermittlung an den Leser (Ach so jaja. Show: ganz toll, Essen lecker und überhaupt und sowieso. S. 110).  Eine Reduktion syntaktischer Komplexität bei gleichzeitiger Erhöhung informationeller Dichte gelingt vor allem an jenen Stellen, in denen der Literat lediglich Informationen für das Verständnis der textlich folgenden Sequenz geben will (Seis drum. Ist ja nicht die einzige Dame im Laden. Mister Pink und Mister Brown haben gerissen.).
Widmet man sich der Stilanalyse, also dem Einsatz von rhetorischen Mitteln und setzt diese zum Inhalt des Textes in Verbindung, so mag man nicht wenig überrascht sein, dass es  kaum kompositorische, syntaktische oder lexikalische Mittel gibt, die der Literat nicht wohl akzentuiert einzusetzen vermag.
Neben den zahlreichen Hyperbeln (Wie die Hunnen fallen wir…, S.33; Es verreist mich schier gar…S.64) bedient sich Herr Spider auch weit weniger gewöhnlichen Stilmitteln, deren Einsatz ein erhebliches Maß an linguistischem Feingefühl verlangen. Die Kreuzstellung des Satzbaus im Chiasmus „Finde ich. Der Rest von FP: Findet das nicht.“ wird hier im Einklang mit dem Inhalt dazu genutzt, die diametral gegensätzlichen Standpunkte der Protagonisten zu verdeutlichen. Wie groß sein sprachliches Repertoire ist lässt sich daran erkennen, dass er eben jenen Gegensatz auch mit dem Stillmittel des Parallelismus auszudrücken vermag (Mir gefällt am besten: Der freie Fall. Mac hasst am meisten: Der freie Fall. S. 69). Der grammatikalische Lapsus –der freie Fall, anstatt den freien Fall- wurde hier bewusst zugunsten des stilistischen Ausdrucks vernachlässigt. Ein gewisser spielerischer Umgang mit der Orthographie kann keinesfalls als Schwäche des Autors in ebenem jenem Bereich gesehen werden, sondern steht erneut in perfekter Symbiose zum Inhalt des Werkes. Die Loslösung von einengenden, rigiden gesellschaftlichen Konventionen erschließt sich für Spider in gleichem Maße auch auf die strengen Regeln der Rechtschreibung und der Grammatik. So kann die Begrifflichkeit „schnärchte“ (S. 66) oder „gelotzt“ (S.98) statt „gelotst“ mit Fug und Recht als Neologismus, einer Wortneuschöpfung mit immanenter Bedeutung bezeichnet werden. Auch die Schöpfung neuer Flexionsformen von Verben haben nichts mit einer Dativ bzw. Akkusativ-Schwäche zu tun, sondern sind, wie erwähnt, Ausdruck einer linguistischen Neuordnung und Freiheit.  
Neben Anaphern (Kein warten bis es grün wird. Kein warten bis es weiter geht. S. 28; Sie packt keinen Koffer, kein Täschchen, kein Nichts. S. 128), fügt er durch die Verwendung „Adam-Sohnes“ für den Mann geschickt eine Eponomasie ein um die abstrakte Betrachtung eben jenes Mannes auch sprachlich zu stützen. Sogar die Metapher (…mal die Zunge zu lupfen. S. 76) wird gekonnt weiter ausgebaut durch die Einbettung eines sprachlich diffizielen Konstrukt der Allegorie (..sich quasi nur noch Wasserschnüre aus dem Wolkenfeld abseilen. S.70;  Augen so blau und tief wie alle sieben Weltmeere,…S. 83).
Seine innere emotionale Beteiligung im Bezug auf Finanzmittel unterstreicht Spider textlich durch die Verwendung einer Emphase in dem er ausführt „Geld, Geld, Geld. Immer nur Geld (S.43). Der linguistisch bewanderte Leser mag darin auch zugleich ein Asyndeton erkenne, der sich ja bekanntlich über eine unverbundene, das heißt ohne jegliche Konjunktionen gebildete Aufzählung definiert. 
Wer glaubt, Spider würde sich bei der Verschriftlichung seines Homunculus nur auf eine essayistische Form beschränken, der wird auf Seite 138 eines Besseren belehrt. Gleichsam als fulminanter Höhepunkt verdichtet Spider erneut seine wesentlichen Inhalte und Motive in lyrischer Form. Der eher reduzierte und bewusst einfach gehaltene Titel „Vom Touren“ täuscht den Leser und lässt anfänglich eine flache und naive Schilderung erahnen. Erneut schafft es der Literat den geneigten Leser mit einem sprachlich ästhetischen und stilistisch reichen Sprachduktus zu überraschen.
Das eher appellativ verfasste Werk besteht aus 31 Zeilen und beinhaltet 12 Verse. Ab Zeile 14 unterbricht der Autor den eher monotonen Zeilenstil, bei dem Versende mit dem Satzende übereinstimmen und durchbricht den Rhythmus durch Enjambements. Dieser Bruch steht in inhaltlichem Zusammenhang mit der ab dieser Stelle beginnenden Mahnung Spiders, nicht das Ende des Tourens zu beklagen, sondern sich dieses Privilegs im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen bewusst zu sein. Hinsichtlich des Reimschemas verwendet der Autor durchgängig den Paarreim (aa bb), in Zeilen 13/14 sowie 25/26 werden unreine Reime (.beneiden/treibens) verwendet. Das Versmaß, bzw. die  Metrik besticht fast durchgängig durch zweisilbige Versfüße. Das Gedicht beginnt mit einem auftaktlosem Versfuß, dem Trochäus. Dieser antike Versfuß wird als fallend bezeichnet, da auf eine betonte eine unbetonte Silbe folgt (Ach welch Wonne doch das Touren ist –X x Xx X x Xx X). Wie dem geneigten Leser bekannt sein dürfte beginnen die meisten Verse in der deutschen Literatur mit einer unbetonten Silbe (xX,) sind also jambisch. Einen lupenreinen Trochäus als Gedichtauftakt bei Spider zu identifizieren erfreut daher besonders, da es einen augenfälligen Kontrast zur derzeit eher trägen Gegenwartslyrik aufzeigt. Das Versmaß der nächsten beiden Zeilen ist der Jambus, der das Antonym zum Trochäus darstellt (erfüllt mein Herz mir stets mit Glück – xX x X m X x X). Der Wechsel zwischen dem eher drögen und ernster wirkenden Trochäus und dem eher dynamischen und lebhafteren Jambus lockert den Spachfluss auf und korrespondiert erneut mit der Freude über das Miterleben der Tour und das Beklagen des Endes eben dieser. Die überwiegende Kadenz des Gedichtes weist eine geringfügig stärkere Tendenz zur männlichen Form (betonte Endsilbe des Versendes) auf, wohingegen die weibliche Kadenz mit einer unbetonten Endsilbe zahlenmäßig nur leicht unterlegen ist (17 männliche zu 14 weiblichen Kadenzen).  
Das Gedicht wurde von Spider ohne jegliche Strophenbildung und unter penibelster Vermeidung jeglicher Zäsuren verfasst, was, denjenigen unter uns, denen die Ehre zuteil ist den Literaten persönlich zu kennen, nicht weiter verwunderlich erscheint. Spider in Persona neigt, dieser Einblick in sein Privatleben sei dem Leser gestattet, auch in der wörtlichen Rede zu durchgängigem, ohne jeglichen Pausen neigendem Monologisieren, befeuert durch seine Begeisterung ob des von ihm eben Gesagtem.

Nicht unerwähnt darf die Skalierung  bzw. die Gestaltung der Gliederung des Buches
bleiben. Der Verzicht auf jegliche logische Korrelation bleibt interpretationsoffen. Sie kann, um doch einen Versuch der Deutung zu wagen, als Projektionsfläche für den immanenten Wunsch des Literaten von festgeschrieben, gleichsam eingestaubten und traditionellen Wegen  Abstand zu nehmen und eine neue buchstäbliche Wertigkeit für das Leben zu etablieren. Diese Idealisierung könnte man, würde man dieser Interpretationsschiene folgen auch aus dem hohen numerischen Werten der Zahlen schliessen. 
Ein Rätselbuch wird's es daher  in vielen Stücken auch für den unbefangenen, an die stärkste Lektüre gewöhnten Geist bleiben. Wer den Verfasser nicht persönlich aus längerem Umgange kennt, wird sich ihn aus diesem Buche nicht nur als schneidigen Musiker, gewandten Philosophen, tiefsinnigen Grübler, sondern auch als einen großen Sonderling vor dem Herrn vorstellen, zum mindesten als eine Shakespeare'sche Figur, in welcher sich das Widerspruchvollste: Lehrhaftigkeit und Schwärmerei, Genie und Narrheit, Diplomatie und Naturburschentum, Nüchternheit und Phantasterei, stärkstes, bis zum eigenen Unfehlbarkeitsglauben gesteigertes Selbstbewußtsein und  Liebenswürdigkeit in der Anerkennung und geistreichen Erklärung persönlicher Verdienste - zu einer wunderbaren Persönlichkeit verquickt. Gerade diese Schwierigkeit aber, sich den Verfasser als einen gangbaren Menschen von modernem Zuschnitt vorzustellen, wird für den weiteren Leserkreis dem Buche ein erhöhtes Interesse leihen. Selbst der rücksichtsloseste Kritiker wird anerkennen müssen, daß dieses Werk der bedeutendsten, originellsten Momente voll ist. Hinsichtlich der Gattung erinnert es an die besten ästhetischen und kritischen Arbeiten Schillers. Nur erreicht Spider stilistisch den Klassiker nicht immer. Sein Stil bevorzugt das Didaktisch-Rhetorische  und hypotaktische allzu sehr, das sich in langen Sätzen, in weiten, gelehrtenhaften Abstraktionen mit vielen Nebenbemerkungen ausbreitet. Dieser gelegentliche Mangel an Plastik und schlagender dramatischer Kraft verleiht oft den gedankenvollsten Stücken des Buchs etwas Schwerfälliges, schildkrötenhaft humpelndes. Dafür entschädigen wieder andere Seiten durch glänzendste Diktion, wie wir sie nur bei allerersten Essayisten zu finden gewohnt sind. Summa: ein fabelhaft interessantes Buchphänomen, dieses Spider'sche Lebensbuch- ein Lebensbuch auch in dem Sinne, daß man sein Leben lang daran lesen kann, ohne mit dem Buch und dem Verfasser fertig zu werden.

Herzlichst, Ihre Bildzeitung